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Der drohende Untergang des Nachtlebens

Licht aus, Musik aus: Diskotheken sterben, Clubs schließen. Hinter der Entwicklung - nicht nur in der Nightlife-Metropole Berlin - stecken Geld- und Generationenfragen. Ist die Party over?

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Der drohende Untergang des Nachtlebens Fabian Sommer/dpa

Berlin (dpa) - Die Zahl der Diskotheken hat sich innerhalb von rund zehn Jahren fast halbiert, die Branche warnt vor weiterem Clubsterben und junge Erwachsene scheinen Exzess zu scheuen, was den Todesstoß für wildes Nachtleben bedeuten könnte. Ist bald tote Hose in Deutschland? Kommt der Untergang des Abendlandes? Besser gesagt: des Nachtlandes? Egal, ob nun in Berlin, Frankfurt, Leipzig, Köln, Stuttgart, Hamburg oder München?

Berlins Nächte seien «von einer steten Jagd nach Vergnügungen und Unterhaltung erfüllt» - «so bunt, so stark pulsierend, so heiß». Das ist eine Beschreibung von vor hundert Jahren. Sie stammt aus den Goldenen Zwanzigern, aus dem Band «Berlin» von Eugen Szatmari, einem Buch aus der damals beliebtesten Reiseführer-Reihe «Was nicht im Baedeker steht».

Auch in den letzten Jahrzehnten lebte der Mythos von Berlin als Partymetropole weiter. Man denke etwa an das Lied «Kreuzberger Nächte sind lang». Ab 1978 gab es in Schöneberg den legendären «Dschungel», in dem auch David Bowie und Iggy Pop feierten.

Dann nach der Wende: viel Sex und Drugs und elektronische Musik - vor allem im früheren Ost-Berlin. Das 2004 als «Ostgut»-Nachfolger eröffnete «Berghain» mit strenger Türpolitik, langer Warteschlange und Fotografierverbot ist global, neben dem Oktoberfest, ein Gesprächsthema, wenn es um Deutschland geht. Hypnotische DJ-Sets, Darkrooms, Dancefloor-Nudismus.

In ganz Deutschland denken Clubs über Schließung nach

In den aktuellen 20er Jahren ereilt die deutsche Hauptstadt jetzt jedoch die Sorge, sang- und klanglos unterzugehen. Clubs wie die «Wilde Renate» oder das «Watergate» machen dicht. Die Berliner Clubcommission warnt vor weiterem Clubsterben. Laut einer Umfrage denkt fast die Hälfte der befragten Mitgliedsläden darüber nach, 2025 zu schließen. 

Sinkende Besucherzahlen, steigende Kosten und fehlende Staatshilfen bedrohten die Zukunft der Szene, heißt es von der Interessenvertretung der über 100 Berliner Clubs. Man stehe unter enormem Druck. «Ohne staatliche Unterstützung und eine konsequente Förderung der Nachtökonomie droht Berlins Clubkultur in der Belanglosigkeit zu versinken.» 

Subvention sei keine Lösung, sagte jedoch Ulrich Wombacher, einer von drei Betreibern des «Watergate», im September der «Berliner Zeitung». Nach der Corona-Krise und den Lockdowns sei die Szene nicht dauerhaft wieder in Schwung gekommen. Musik werde anders (digital) konsumiert, auch Festivals seien wichtiger geworden. Nichts sei für immer - «warum sollten Clubs nicht auch ein vorübergehendes Phänomen sein?». 

Auch deutschlandweit scheint es düster auszusehen: Der Bundesverband der Musikspielstätten, LiveKomm, veröffentlichte eine Erhebung, nach der sich fast zwei Drittel der befragten Clubs in einer wirtschaftlich (noch) schlechteren Lage als vor einem Jahr sehen. Etwa ein Sechstel denkt an eine Schließung in den kommenden zwölf Monaten.

Besucherrückgang und Bürokratie stören das Business

Andere Worte findet der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe (BDT im Dehoga Bundesverband). «Ich kann ein akutes Discosterben so nicht bestätigen», sagt Referentin Aurélie Bergen. Die Branche kämpfe aber mit großen Herausforderungen: «immer wieder steigende Gema-Gebühren, allgemein zunehmende Bürokratie, die Auswirkungen des Mindestlohns, veraltete, starre Vorgaben bei der Arbeitszeit». 

Außerdem deckten Streamingdienste und soziale Netzwerke Angebote ab, die früher als Alleinstellungsmerkmal von Discos galten. Gemeint sind etwa Spotify oder die Dating-App Tinder. Obendrein ziehen auch einmal im Jahr stattfindende Partys in Scheunen, auf Wiesen oder in Gemeindehallen Gäste ab. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.

Bei alledem lohnt ein Blick auf die Kernzielgruppe von Clubs: die 18- bis 25-Jährigen. Natürlich gehen auch 30-, 40-, 50-Jährige tanzen, ja, auch manche 80-Jährige. Doch das typische Clubgänger-Alter ist Anfang zwanzig.

Damit wären wir bei der mit vielen Vorurteilen versehenen Generation Z: Die sogenannte Gen Z meidet Stress, ernährt sich gesund, hat weniger Sex, schläft genug. Ihre neue Mitternacht ist angeblich 21 Uhr. Zum Teil sind die Klischees wissenschaftlich belegt: Die Jungen von heute trinken tatsächlich deutlich weniger Alkohol als frühere Generationen.

Ist die Generation Z schuld?

Förderlich für exzessives Ausgehen sind solche Lebenseinstellungen kaum. «Partys sind heute nicht mehr die vornehmlich nächtlichen, lang erwarteten Ausschweifungen, um neue Bekanntschaften zu machen», sagt Sandra Onofri von der Kommunikationsagentur Havas. Feiern gehen sei keine Wochenendpflicht mehr, sondern nur noch eine Option von vielen.

Havas erstellte dieses Jahr als Agentur für Markenberatung den auf Tausende Teilnehmer gestützten Trendreport «Is the Party Over?». Demnach hat der beschleunigte Zuwachs von Home-Entertainment-Programmen, Lieferdiensten und Online-Zusammenkünften während der Lockdowns nachhaltig die Vorstellung vom Partymachen beeinflusst.

Kontrolle behalten ist wichtig 

Eine Mehrheit der Befragten der Generation Z bleibt am Wochenende gern zu Hause. Die meisten feiern lieber bei sich oder bei Freunden als in Clubs. Viele ziehen Partys vor, bei denen sie auf Freunde und Bekannte treffen anstatt auf Unbekannte. Für mehr als die Hälfte ist die Vorbereitung auf die Party, also das Aufbrezeln, genauso wichtig wie die Party selbst.

Rund drei Viertel der Befragten glauben, dass es wichtig sei, die Kontrolle zu behalten, sich nicht in der Öffentlichkeit danebenzubenehmen (beispielsweise betrunken). Berichte über Terroranschläge, sexuelle Übergriffe in Clubs sowie über Drinks, in die K.-o.-Tropfen geträufelt wurden, haben das Bewusstsein für Sicherheit erhöht.

Individualisiertes Feiern und Lust auf Komfort liegen also bei denen im Trend, die die Zukunft bestimmen: Aus Fomo («Fear of missing out»), der Angst, etwas zu verpassen, soll Fogo («Fear of going out») geworden sein: eine gewisse Furcht davor, wie in alten Zeiten auszugehen.

© dpa-infocom, dpa:241122-930-295901/1