Nach Umsturz in Syrien: Hoffnung auf Gaza-Deal
Die Gespräche über einen neuen Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas kommen seit Monaten nicht voran. Doch nun scheint es Bewegung zu geben.
Tel Aviv/Gaza/New York (dpa) - Nach dem Umsturz in Syrien schöpfen die Vermittler im Gaza-Krieg Hoffnung auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen um eine Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas. Die Hamas sei jetzt zu einer Vereinbarung bereit, die es Israels Truppen bei Einstellung der Kämpfe erlauben würde, vorübergehend im Gazastreifen zu bleiben, berichtete das «Wall Street Journal» unter Berufung auf arabische Vermittler. Die Hamas habe zudem den Vermittlern eine Liste mit Geiseln übergeben, die sie im Rahmen einer Waffenruhe-Vereinbarung freilassen würde. Damit hätten die Islamisten zwei Kernforderungen der Israelis nachgegeben, berichtete die Zeitung.
UN-Vollversammlung fordert sofortige Waffenruhe in Gaza
Kurz zuvor hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen per Resolution eine sofortige, bedingungslose und andauernde Waffenruhe gefordert sowie die sofortige Freilassung der Geiseln. Deutschland und 157 weitere Mitgliedsländer stimmten für den Entwurf, 9 dagegen - darunter die USA und Israel. Israels Verteidigungsminister Israel Katz sagte seinem US-Kollegen Lloyd Austin jedoch, es gebe jetzt eine Chance für ein Abkommen.
Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, will darüber heute in Israel mit Regierungschef Benjamin Netanjahu sprechen, bevor er nach Katar und Ägypten weiterreist. Die beiden arabischen Länder vermitteln zusammen mit den USA seit Monaten zwischen Israel und der Hamas, da die beiden Kriegsparteien nicht direkt miteinander verhandeln. Auch US-Außenminister Antony Blinken führt erneut Gespräche im Nahen Osten und wird heute in Jordanien und in der Türkei erwartet, wie das Außenministerium in Washington mitteilte.
Die Hamas scheint sich zu bewegen
Monatelang hatte die Hamas darauf bestanden, dass sie einem neuen Abkommen nur dann zustimmen würde, wenn es ein dauerhaftes Ende des Krieges und einen vollständigen Abzug der israelischen Truppen aus Gaza beinhaltet. Nun scheint neue Bewegung in die Sache zu kommen. Die Deutsche Presse-Agentur hatte bereits vor Tagen aus Hamas-Kreisen erfahren, dass Katar und Ägypten Namen einiger Geiseln für eine mögliche Freilassung genannt worden seien. Die Hamas zeige sich bei den Verhandlungen jetzt flexibler als zuvor, hieß es aus Vermittlerkreisen.
Terroristen der Hamas und anderer Gruppen hatten am 7. Oktober vergangenen Jahres mehr als 250 Menschen aus Israel in das abgeriegelte Küstengebiet verschleppt. Rund 1.200 Menschen wurden bei dem beispiellosen Terrorüberfall getötet. Es war der Auslöser des Gaza-Krieges, in dem nach - unabhängig nicht zu überprüfenden - palästinensischen Angaben mehr als 44.500 Menschen in Gaza getötet wurden.
Im Zuge einer Waffenruhe Ende November 2023 hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug wurden 240 palästinensische Häftlinge aus Gefängnissen in Israel entlassen. Einzelne Geiseln wurden seither vom Militär befreit, andere tot geborgen. Wie viele der Geiseln noch am Leben sind, ist nicht bekannt.
Netanjahu: Wir zerlegen Irans «Achse des Bösen»
Der inzwischen in Gaza getötete Hamas-Anführer Jihia al-Sinwar hatte ursprünglich gehofft, mit dem Terrorüberfall auf Israel vor mehr als 14 Monaten die gesamte sogenannte Widerstandsachse des Irans im Kampf gegen den Erzfeind Israel zu vereinen. Doch nach den Schlägen Israels gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon und nun auch mit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad schwindet Teherans Macht in der Region.
Israel sei dabei, Irans «Achse des Bösen» zu zerlegen, sagte Netanjahu am Mittwoch. Während die Armee vor allem im Norden des Gazastreifens weiter intensiv gegen die Hamas vorgeht und nach eigenen Angaben zwei weitere am Oktober-Massaker beteiligte Terroristen tötete, kamen auch im Südlibanon nach Angaben des örtlichen Gesundheitsministeriums bei israelischen Angriffen erneut mehrere Menschen ums Leben - trotz einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah. Ob es sich um Mitglieder der Schiitenmiliz handelte, war unklar. Israels Militär äußerte sich zunächst nicht.
Aus dem Ort Chiam im Süden des Libanons zog sich Israels Armee unterdessen zurück. Die dortige Mission sei erfüllt, teilte das Militär mit. Es würden nun im Einklang mit dem Abkommen über eine Waffenruhe Soldaten der libanesischen Armee sowie die UN-Friedenstruppe Unifil dort Stellung beziehen. Zunächst bleibe die israelische Armee aber noch in mehreren Gegenden im Südlibanon stationiert, um im Rahmen des Waffenruhe-Abkommens noch gegen Bedrohungen vorzugehen.
Israels Armee weiter in Pufferzone in Syrien
Vier Kampfgruppen der israelischen Armee sind Militärangaben nach zudem auch im Süden Syriens weiter im Einsatz. Ein Brigade-Kampfteam gehe dort etwa gegen Bedrohungen entlang der Grenze vor, teilten die Streitkräfte am Abend mit. Dabei seien auch mehrere nicht mehr genutzte Panzer der syrischen Armee beschlagnahmt worden. Ziel des israelischen Einsatzes sei es, die Sicherheit der Zivilbevölkerung im Norden Israels zu gewährleisten.
Israels Armee hatte nach der Übernahme der Kontrolle durch Rebellen in Syrien Truppen in die Pufferzone zwischen den von Israel besetzten Golanhöhen und dem Nachbarland verlegt. Israelischen Medienberichten zufolge sind die Kampftruppen mitunter auch etwas außerhalb dieser Pufferzone aktiv. Frankreich rief Israel dazu auf, sich aus der Zone zurückzuziehen und die Souveränität und die territoriale Integrität Syriens zu respektieren.
Pistorius: Nicht aus Region zurückziehen
Verteidigungsminister Boris Pistorius macht sich nach dem Umsturz in Syrien für eine verstärkte Zusammenarbeit zur Stabilisierung der Lage im Nahen Osten stark. «Wir dürfen uns keinesfalls zurückziehen», sagte Pistorius in der irakischen Hauptstadt Bagdad in einem für die ARD-«Tagesthemen» geführten Interview. «Durch den Sturz Assads in Syrien ist nicht klar, in welche Richtung sich die Region, in welche Richtung Syrien sich entwickelt.»
Europa und Deutschland könnten und dürften «sich nicht erlauben, hier nur Zuschauer zu sein. Dafür ist die Region zu wichtig», sagte der Minister. Für Deutschland könne das auch bedeuten, mit den neuen Machthabern in einem «neuen Syrien» zusammenzuarbeiten, «wenn sie denn die Chance nutzen, die sich ihnen jetzt bietet und sie schnell für etwas Ruhe sorgen können, auf der man dann aufsetzen kann».
Assads Baath-Partei hat ihre Arbeit nach eigenen Angaben auf unbestimmte Zeit eingestellt, das ihm lange treu ergebene Militär zeigt deutliche Auflösungserscheinungen. Der internationale Flughafen in der syrischen Hauptstadt Damaskus wiederum könnte womöglich schon am kommenden Sonntag wieder den Betrieb aufnehmen. Aus Kreisen des Verkehrsministeriums hieß es, dass es dort nach dem Umsturz zu Plünderungen, Vandalismus und Diebstahl gekommen sei. Derzeit fänden Reparaturarbeiten statt.