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Nawalny-Team: Putin erhielt Angebot zu Gefangenenaustausch

Mitte Februar starb Alexej Nawalny in einem russischen Straflager. Nun sagt sein Team, dass er eigentlich hätte freikommen sollen - im Gegenzug für den in Deutschland inhaftierten Tiergartenmörder.

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Alexej Nawalny Pavel Golovkin/AP/dpa

Moskau (dpa) - «Alexej Nawalny könnte jetzt heute hier sitzen»: Diese Worte sagt Maria Pewtschich in einem rund sieben Minuten langen Video, das für einige Diskussionen sorgen dürfte. Die langjährige Mitarbeiterin von Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds erklärt in dem am Montag veröffentlichten Kurzfilm nämlich, dass der vor anderthalb Wochen in einem russischen Straflager ums Leben gekommene Oppositionelle eigentlich gegen den in Deutschland inhaftierten Tiergartenmörder hätte frei getauscht werden sollen. «Nawalny sollte in den nächsten Tagen freikommen, weil wir eine Entscheidung zu seinem Austausch erreicht hatten», betont sie.

Demnach hätte der im Dezember 2021 in Deutschland verurteilte Wadim K. an Russland ausgeliefert werden sollen - im Gegenzug für Nawalny und zwei nicht näher genannte US-Amerikaner. Ein entsprechendes Angebot sei Kremlchef Wladimir Putin Anfang Februar unterbreitet worden, sagt Pewtschich. Eine offizielle Bestätigung dieser Aussagen gab es zunächst weder von deutscher noch von amerikanischer Seite. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Londoner Zeitung «Financial Times»: «Solche Vereinbarungen sind mir nicht bekannt.»

Von der stellvertretenden Sprecherin der Bundesregierung, Christiane Hoffmann, gab es zu den Aussagen weder eine Bestätigung noch ein Dementi. Stattdessen verwies sie auf frühere Äußerungen und sagte: «Ich kann dazu jetzt auch nichts anderes antworten, als dass wir uns dazu nicht äußern können.» Auf Nachfrage sagte sie: «Jetzt im Moment kann ich mich dazu nicht äußern.» Solche Gespräche mit Unterhändlern des Kreml-Machthabers sind - wenn es sie denn wirklich gibt - politisch überaus delikat. Was die rechtliche Seite angeht, gibt es Möglichkeiten, wie sie in Paragraf 456a der deutschen Strafprozessordnung formuliert sind («Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung, Überstellung oder Ausweisung»). Die «FAZ» berichtete unter Berufung auf westliche Regierungskreise, dass deutsch-russische Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch tatsächlich weit fortgeschritten gewesen seien. 

«Wir haben wirklich alles versucht»

Die Darstellung von Nawalny-Mitarbeiterin Pewtschich jedenfalls lautet so: «Ich habe am Abend des 15. Februar die Bestätigung bekommen, dass Verhandlungen laufen und sich im finalen Stadium befinden. Am 16. Februar wurde Alexej getötet.» In dem Video führt sie aus, dass hinter den Austauschplänen rund zwei Jahre voller Verhandlungen gesteckt hätten - mit Hilfe «bekannter Politiker und der reichsten Leute dieses Planeten». Auch Vertraute Putins seien involviert gewesen. Am Ende habe der russische Oligarch Roman Abramowitsch Putin den fertigen Vorschlag vorgelegt, sagt sie. Wie Putins Reaktion ausgefallen sei, sei aber nicht bekannt. «Wir haben wirklich alles versucht», betont Pewtschich. Aus ihren Aussagen geht allerdings nicht hervor, wer genau an der Ausarbeitung der Austauschpläne beteiligt gewesen sein soll.

Die Nawalny-Unterstützer aber sind überzeugt davon, dass Putin seinen schärfsten Kritiker aus dem Weg habe räumen lassen, weil er ihn um keinen Preis in Freiheit sehen wollte. Was den Tiergartenmörder angehe, so habe der Kreml nun trotzdem die Gewissheit, dass der Westen grundsätzlich zu einem Gefangenenaustausch bereit sei, meint Pewtschich. «Das ist das absolut unlogische, irrationale Verhalten eines verrückten Mafioso», sagt sie.

Nawalny, der als politischer Gefangener galt, war laut offizieller russischer Darstellung am 16. Februar in einem Straflager nördlich des Polarkreises ums Leben gekommen. Der 47-Jährige war durch einen Giftanschlag, den er im Jahr 2020 nur knapp überlebte, und ständige Einzelhaft im Gefängnis sehr geschwächt. Schon deshalb widersprechen seine Unterstützer den Angaben auf dem Totenschein, wo von «natürlichen» Todesursachen die Rede sein soll. Stattdessen werfen sie Russlands Machtapparat Mord vor. 

Beerdigung in Moskau angekündigt

Nachdem Nawalnys Angehörige zum Entsetzen vieler mehr als eine Woche lang auf die Herausgabe des Leichnams warten mussten, ist nun für Ende dieser Woche eine Beerdigung in Moskau angekündigt worden. Ob der russische Machtapparat aber wirklich zulassen wird, dass diese - wie von Nawalnys Unterstützern gewünscht - öffentlich stattfinden wird, ist sehr fraglich. Trauerbekundungen, die als Auslöser von Protesten dienen könnten, kommen aus Kremlsicht so kurz vor der Präsidentenwahl am 17. März alles andere als gelegen.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz machte Putin derweil in aller Deutlichkeit für den Tod Nawalnys verantwortlich. «Auch ich gehe wie alle anderen davon aus, dass es das Regime war, das ihn getötet hat», sagte der SPD-Politiker bei der dpa-Chefredaktionskonferenz am Montag. Russland sei eine Diktatur. «Sein Tod ist jetzt die Konsequenz einer Diktatur.» 

Russland hatte schon 2022 ein besonderes Interesse an der Freilassung des Russen Wadim K. bekundet, der wegen des sogenannten Tiergartenmordes verurteilt wurde. Gemeint ist ein Mord, der im August 2019 in Berlin an einem Georgier tschetschenischer Abstammung in der Parkanlage Kleiner Tiergarten verübt wurde. Der Fall hatte zu Verwerfungen zwischen den Regierungen Deutschlands und Russlands und der gegenseitigen Ausweisung von Diplomaten geführt. Das Kammergericht Berlin verhängte gegen den russischen Täter lebenslange Haft und stellte fest, dieser habe im Auftrag staatlicher russischer Stellen gehandelt.

Moskau brachte dessen Fall schon bei Verhandlungen über die später erfolgte Freilassung der US-Basketballspielerin Brittney Griner auf den Tisch, wenn damalige Äußerungen aus den USA zutreffen. «Sie haben die Übergabe eines Mannes (...) gefordert, eines Mörders, der in Deutschland in Haft sitzt», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, im Dezember 2022 in einem Interview. Er wies auf besondere Schwierigkeiten hin, da sich der Mann nicht in US-Gewahrsam befinde. 

Anfang Februar dieses Jahres dann sorgten Äußerungen Putins für Aufsehen, die dieser in einem viel beachteten Interview des rechtsgerichteten US-Moderators Tucker Carlson tätigte. «Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten», sagte der Kremlchef damals mit Blick auf den in Russland inhaftierten amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich. Die USA sollten darüber nachdenken, wie sie zu einer Lösung beitragen könnten, fügte er hinzu. Viele Beobachter interpretieren Putins Äußerungen so, dass eine Freipressung von Wadim K. gemeint sein könnte.

Ob Gershkovich und der ebenfalls wegen Spionagevorwürfen in Haft sitzende Paul Whelan die beiden US-Amerikaner sind, die laut Nawalny-Team zusammen mit dem Kremlgegner gegen den Tiergartenmörder hätten eingetauscht werden sollen, ist nicht bekannt. 

© dpa-infocom, dpa:240226-99-129005/9