Pflegeversicherung: Finanzlage «ernst wie nie»
Die Pflege im alternden Deutschland wird teurer und teurer - auch für die Beitragszahler. Kurz vor der Wahl sendet die Pflegeversicherung Warnsignale.
Berlin (dpa) - Die Pflegeversicherung ist 2024 in die roten Zahlen gesackt und warnt trotz gerade erhöhter Beiträge vor größeren Finanznöten. «Die Lage ist so ernst wie noch nie», sagte Doris Pfeiffer, Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen, der auch die Pflegekassen vertritt, der Deutschen Presse-Agentur. Mit der Beitragsanhebung zu Jahresbeginn sei das Finanzierungsproblem nicht gelöst, sondern lediglich aufgeschoben worden. Dies werde bestenfalls ausreichen, um die Ausgabensteigerungen in diesem Jahr auszugleichen. «Aber für 2026 reicht das dann keinesfalls mehr.»
Pfeiffer sagte, die Situation spitze sich bereits zu. Im Februar könnten erstmals einzelne Pflegekassen Liquiditätshilfe aus einem Ausgleichsfonds benötigen. «Da muss sich jetzt niemand Sorgen machen, denn durch dieses Verfahren wird sichergestellt, dass in diesem Jahr noch alle Pflegekassen zahlungsfähig bleiben.» Sie fügte aber hinzu: «Wenn nach der Wahl die neue Bundesregierung nicht sehr rasch handelt und Maßnahmen zur finanziellen Stabilität ergreift, steht die Pflegeversicherung im nächsten Jahr vor einer existenziellen Krise.»
Effekt der erneuten Beitragsanhebung
Das Defizit 2024 beträgt voraussichtlich 1,55 Milliarden Euro, wie aus Daten des Spitzenverbands hervorgeht. Ein endgültiges Ergebnis soll Mitte Februar vorliegen. Für dieses Jahr wird zum jetzigen Zeitpunkt ein kleines Minus von 300 Millionen Euro erwartet und damit ein «in etwa ausgeglichenes Ergebnis». Hintergrund ist eine erneute Erhöhung des Beitrags zum 1. Januar 2025 um 0,2 Prozentpunkte, nachdem er zuletzt im Sommer 2023 angehoben worden war.
Einbringen soll das nun jährliche Mehreinnahmen von 3,7 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite gehen die Kosten ebenfalls hoch. Im vergangenen Jahr seien die Leistungsausgaben um rund elf Prozent gestiegen, erläuterte Pfeiffer. «Für dieses Jahr erwarten wir ebenfalls einen Anstieg deutlich über elf Prozent. Damit wird die Pflegeversicherung erstmals über 70 Milliarden Euro ausgeben.»
Mehrere Ursachen für höhere Milliardenkosten
Ein Grund für den Anstieg sei, dass die Zahl der Leistungsbeziehenden «sehr dynamisch» steige. Zum Jahresbeginn wurden außerdem alle Zahlungen für Pflegebedürftige zu Hause und im Heim um 4,5 Prozent angehoben, wie es noch eine Reform der Ampel-Koalition von 2023 festlegte. Kosten: 1,8 Milliarden Euro, die den Pflegebedürftigen laut Gesundheitsministerium jetzt mehr zur Verfügung stehen. Die Pflegekassen zahlen daneben immer mehr, um steigende Eigenanteile für Pflegebedürftige abzumildern. Denn die Pflegeversicherung trägt - anders als die Krankenversicherung - nur einen Teil der Kosten.
Pfeiffer sagte, es lägen zahlreiche Ideen vor, wie die Pflege zukunftsfest gemacht werden kann. «Es ist wichtig, dass die Parteien nun im Wahlkampf ihre Konzepte vorstellen, damit die Menschen sich ein Bild machen können, wer auf diese existenzielle Frage welche Antwort hat.» Damit die Pflegeversicherung nach Jahren der Unsicherheit und aufkommender Instabilität wieder in ruhiges Fahrwasser komme, sollte die neue Bundesregierung einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens für eine Reform anstreben.
Wahlkampfthema Pflege
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte eigentlich noch eine größere Finanzreform angepeilt, die nach dem Bruch der Ampel-Koalition aber nicht mehr zustande kam. Pfeiffer sagte: «Wir werden nicht müde zu fordern, dass der Bund seinen Verpflichtungen nachkommt.» Gelder zur Finanzierung von Corona-Maßnahmen müssten an die Pflegeversicherung zurückgezahlt und Rentenbeiträge für pflegende Angehörige dauerhaft übernommen werden.
Ein Wahlkampfthema ist die Pflege bereits. So will die SPD die Eigenanteile für die reine Pflege im Heim bei 1.000 Euro im Monat begrenzen - im Sommer lagen sie im bundesweiten Schnitt nach Kassendaten im ersten Jahr im Heim bei gut 1.400 Euro nur für die reine Pflege. Daneben sind auch noch Zahlungen für Unterkunft und Verpflegung fällig. Die Union nennt im Programm unter anderem Steuermittel und «bezahlbare Pflegezusatzversicherungen». Die FDP strebt neben Beiträgen «eine kapitalgedeckte Komponente» an. Die Grünen wollen versicherungsfremde Leistungen «angemessener über den Staat finanzieren».
Aus Sicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist die Finanzkrise der Pflegeversicherung von der Politik verursacht. Jährlich würden der Sozialversicherung durch Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige, der Streichung des Steuerzuschusses und der Ausbildungsumlage fast sechs Milliarden Euro entzogen, kritisierte Vorstand Eugen Brysch. Auch habe die Bundesregierung einen Kredit über 5,5 Milliarden Euro für die außergewöhnlichen Pandemieausgaben nicht zurückgezahlt.
«Ohne Zweifel ist die Lage so ernst wie nie», betonte Brysch. Weit dramatischer sei die Krise bei den über fünf Millionen Pflegebedürftigen selbst. Der Strudel der explodierenden Ausgaben habe die Betroffenen längst erfasst. Brysch forderte eine Deckelung des Eigenanteils der Pflegekosten auf monatlich 1.000 Euro.