Pistorius erwartet rasche Einigung zu Ukraine-Hilfen
Die Ukraine ist dem Angreifer Russland an Feuerkraft unterlegen. Doch sie hat bei Drohnen aufgeholt und kann westliche Raketen einsetzen. Nach einem heftigen Luftangriff droht Moskau mit Vergeltung.
Kiew/Moskau (dpa) - Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat der Ukraine Unterstützung auch über die Bundestagswahl am 23. Februar hinaus zugesagt. Zudem rechne er mit einer baldigen Einigung in der Bundesregierung über zusätzliche Hilfen von drei Milliarden Euro, sagte er zum Abschluss eines Besuchs in Kiew. In den ARD-«Tagesthemen» und im ZDF-«heute journal» verwies der SPD-Politiker darauf, dass es für 2025 noch keinen regulären Bundeshaushalt gebe und der Bund mit einer vorläufigen Haushaltsführung agiere. «Es ist nicht trivial, das Geld aufzutreiben», betonte er im ZDF.
Der Minister nahm Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen Vorwürfe in Schutz. «Ich sehe keinerlei Grund anzunehmen, dass der Bundeskanzler hier bremst», sagte Pistorius in der ARD. Scholz lehnt Einsparungen an anderer Stelle für die Finanzierung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine ab.
Pistorius: Kiew zweifelt nicht an deutscher Unterstützung
Pistorius traf bei seinem nicht öffentlich angekündigten Besuch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen. Mit Blick auf den bevorstehenden Machtwechsel in Washington sagte Pistorius, dass es in der Ukraine durchaus Sorgen gebe, ob das Land weiterhin Unterstützung durch die USA erhält. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Unterstützer und größte Waffenlieferant der Ukraine.
«Man macht sich aber tatsächlich überhaupt gar keine Sorgen um die Unterstützung der europäischen Partner und insbesondere auch nicht, was Deutschland angeht», stellte Pistorius in der ARD fest. Sollte die Unterstützung der US-Regierung künftig ausbleiben, könne Europa dies auffangen, zeigte sich Pistorius überzeugt. «Aber es wäre ein Kraftakt.»
Selenskyj dankte und unterstrich die Bedeutung der Militärhilfe aus Deutschland. «Auf Deutschland entfallen 16 Prozent der gesamten Unterstützung aus allen Ländern. Das ist sehr ernst zu nehmen», sagte er in seiner abendlichen Videoansprache.
Deutschland ist militärisch und finanziell der zweitwichtigste Unterstützer nach den USA. In den vergangenen Wochen erhielt die Ukraine mehr als 1500 Kampf- und Aufklärungsdrohnen sowie mehrere Zehntausend Schuss Artilleriemunition aus Deutschland. Das geht aus der aktualisierten Liste der Bundesregierung über Militärhilfen hervor.
Russland droht nach schweren ukrainischen Angriffen
Wie so oft seit Beginn des russischen Angriffskriegs herrschte auch in der Nacht auf Mittwoch in vielen Regionen der Ukraine wieder Luftalarm. Die Luftwaffe ortete russische Kampfdrohnen am Himmel. Zudem warfen russische Flugzeuge Gleitbomben auf das nordukrainische Gebiet Sumy ab. Im Gebiet Saporischschja gab es einen Raketenangriff.
Zugleich wurden aus Russland weitere ukrainische Drohnenangriffe gemeldet, etwa aus dem Gebiet Tambow. In der Nacht auf Dienstag hatte die Ukraine den bislang massivsten Drohnenangriff auf russische Industrieanlagen und Rüstungsbetriebe unternommen. Beim Beschuss einer Munitionsfabrik im westrussischen Gebiet Brjansk seien auch weitreichende westliche Raketen eingesetzt worden, teilte das russische Verteidigungsministerium mit. Solche vom Westen unterstützten Schläge der Ukraine blieben nicht unbeantwortet.
Die Ziele der Drohnenangriffe lagen bis zu 1100 Kilometer tief auf russischem Gebiet, zum Beispiel in den Städten Kasan und Engels an der Wolga. Im Einzelnen ließen sich die Angaben beider Kriegsparteien nicht unabhängig überprüfen.
Ärger über Abkommandierungen zur Infanterie
An der Front in der Ostukraine stehen die ukrainischen Verteidiger weiter unter Druck der vorrückenden russischen Truppen. Es fehlt zur Abwehr vor allem an Infanteristen. Aber in der ukrainischen Armee wird der Streit über die Abkommandierung von Soldaten der Luftwaffe zur Infanterie immer lauter. Der Generalstab rechtfertigte das Vorgehen als «notwendigen Schritt», die Bodentruppen müssten mit Soldaten aus anderen Teilstreitkräften verstärkt werden.
Selenskyj ging in seiner Videobotschaft auf den Unmut in der Luftwaffe ein. Er habe angeordnet, auf keinen Fall die Kampfeinheiten zu reduzieren, die zur Flugabwehr oder zu Luftangriffen gebraucht würden, sagte er.
Putin-Vertrauter spricht über Ende der Ukraine
Ein enger Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin äußerte sich derweil unverhohlen über ein mögliches Ende der Ukraine und der Republik Moldau als eigenständige Staaten. Beide Länder seien durch antirussische Politik in die Krise geraten, sagte Nikolai Patruschew, früher Sekretär des russischen Sicherheitsrates, der Moskauer Zeitung «Komsomolskaja Prawda».
«Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Ukraine in diesem Jahr aufhört zu existieren», sagte er. Bei der Republik Moldau sei es wahrscheinlich, «dass sie zu einem anderen Staat kommt oder überhaupt aufhört zu existieren». Patruschew (73) ist ein enger Weggefährte Putins und ein Verfechter der Großmachtansprüche Russlands, auch wenn er seit 2024 im Kreml nur noch als Berater für Schifffahrtspolitik zuständig ist.