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Randale und ein Messer – Erneut endet Polizeieinsatz tödlich

Dass deutsche Polizisten zur Schusswaffe greifen und Menschen im Einsatz erschließen, ist selten. Doch nun lassen zwei fatale Einsätze in Folge aufhorchen. Experten haben Erklärungsansätze.

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Polizei erschießt mutmaßlichen Messerangreifer in Herne Justin Brosch/dpa

Herne/Dortmund (dpa) - Die Schlagzeile gleich zweimal binnen weniger Tage ist beklemmend ähnlich: Polizei erschießt randalierenden Mann mit Messer – erst stirbt ein Mann bei einem Einsatz in einer Dortmunder Wohnung, vier Tage darauf einer in einem Hausflur in Herne.

In beiden Fällen soll der Mann zuvor die Beamten bedroht oder angegriffen haben, jeweils mit einem Messer. In beiden Fällen war der Mann zuerst durch aggressives Verhalten aufgefallen. In beiden Fällen sind die Ermittlungen zum genauen Hergang sowie zur Frage, ob die Polizisten richtig – also in einer Notwehr oder Nothilfesituation – gehandelt haben, gerade erst angelaufen.

Erst Randale, dann Messerangriff

Im jüngsten Fall griffen Beamte an einer Wohnungstür in Herne im Ruhrgebiet zur Schusswaffe. Stunden nach dem Vorfall vom Montagmorgen ist vieles noch Gegenstand der Ermittlungen. Den wesentlichen Ablauf schildert die Polizei so: Sie war zur Adresse eines 51-Jährigen ausgerückt, um nach dem Rechten zu sehen, nachdem er nicht wie gewohnt zur Arbeit gekommen war. Beim Eintreffen der Polizei seien Gegenstände aus dem Fenster geflogen – ein Glas zertrümmerte die Windschutzscheibe eines Streifenwagens.

Als die Beamten dann an der Wohnungstür geklopft hätten, sei der Mann mit einem Messer auf sie losgegangen. Nach der Schussabgabe brach er zusammen und konnte nicht wiederbelebt werden.

Vier Tage zuvor: Ebenfalls Bedrohung mit Messer

Am Freitag war ein 70-Jähriger von einer Polizeikugel getroffen worden und gestorben. Rettungskräfte hatten die Beamten alarmiert, weil ein Patient aggressiv geworden war, sich während ihrer Arbeit ein Küchenmesser gegriffen hatte. Beim Eintreffen der Beamten soll er dann schnellen Schrittes auf die Polizisten zugegangen sein. Ein 24-jähriger Beamter stoppte ihn schließlich mit einem Schuss in den Bauch, so die ersten Erkenntnisse.

Im vergangenen Jahr hatten Polizisten einer Dokumentation der Zeitschrift «Bürgerrechte & Polizei» zufolge in Deutschland 22 Menschen im Einsatz erschossen – so viele wie seit über vier Jahrzehnten nicht mehr. Im ersten Quartal des laufenden Jahres endeten Polizeieinsätze bereits für sieben Männer tödlich.

Polizeiexperte geht von Nachahmungseffekten aus

Tödlicher Schusswaffengebrauch von Polizisten und Polizistinnen stehe auffällig häufig dann am Ende solcher Einsätze, wenn zuvor ein Messer im Spiel war, stellt der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes fest, der seit vielen Jahren fatale Polizeieinsätze untersucht. Er glaube dabei nicht mehr nur an eine statistische Zufälligkeit, sagt er.

«Ist ein Messer im Spiel, läuten bei den Polizisten ohnehin alle Alarmglocken», sagt Feltes. «Spektakuläre Messerangriffe der jüngeren Zeit – sei es Mannheim oder Aschaffenburg – haben die Polizisten aber auf besondere Weise zusätzlich sensibilisiert.» Bestimmte Bilder vor Augen könnten dazu führen, dass man vorsichtiger sei, früher zur Schusswaffe greife.

«Ich gehe davon aus, dass es auch auf Seiten der Angreifer eine Art Nachahmungseffekt gibt», sagt Feltes. Darauf deute die «wellenmäßige Wiederkehr von Messerangriffen» hin. Häufig seien es auch Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, die sich durch das Messer Aufmerksamkeit oder auch Schutz versprächen.

«Und über allem schwebt eine insgesamt brutaler werdende Gesellschaft, die auf eine Polizei trifft, die glaubt, dagegen besonders robust auftreten zu müssen», sagt Feltes. Was stattdessen vonnöten sei, damit solche Einsätze nicht eskalierten, sei, Zeit zu gewinnen und Abstand zu wahren. Das sei nicht immer möglich, räumt er ein. «Ist eine gewisse Distanz unterschritten, ist die Situation unumkehrbar. Dann muss der Beamte von der Schusswaffe Gebrauch machen, um sich oder die Kollegen zu schützen.» Auch ein Schuss in die Beine oder gar auf die messerführende Hand sei nicht realistisch.

Messerangriffe nehmen zu – auch gegen Polizisten

Das betont auch Michael Mertens, NRW-Landesvorsitzender und im Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP). «Das Beste ist, durch Worte und gutes Zureden, so etwas zu unterbinden» – und so ende auch die Mehrzahl der Fälle glimpflich. Und doch: «Wird die Messerattacke gerade vollzogen und ist ein gewisser Abstand von fünf, sechs Metern unterschritten, dann gibt es keine wirkliche Alternative zur Schusswaffe, um das eigene Leben oder das der Kollegen zu schützen», sagt Mertens.

Dahinter stecke auch eine gesellschaftliche Entwicklung: Messerangriffe gegen Menschen hätten zugenommen – «und wir haben auch eine immer größere Zahl von Angriffen auf meine Kollegen und Kolleginnen, die mit Messern vollzogen werden.»

So weist die Kriminalstatistik für NRW für das Jahr 2024 einen Anstieg von Messer-Straftaten um 21 Prozent auf fast 7.300 Fälle aus.

© dpa-infocom, dpa:250317-930-406055/3