Schuldzuweisungen in der Debatte über Aschaffenburg
Eine grausame Attacke im bayerischen Aschaffenburg - und das mitten im Bundestagswahlkampf. Es gibt schwere Vorwürfe zur Tat, aber auch mäßigende Stimmen.
Aschaffenburg (dpa) - Nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg gehen mitten im Bundestagswahlkampf die gegenseitigen Schuldzuweisungen weiter. Wie schon Bundeskanzler Olaf Scholz sprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) im ZDF-«heute journal» von Versäumnissen auch in Bayern. «Für die Abschiebungen sind die Länder vor Ort zuständig. Wir stellen fest, dass wir zu wenig Abschiebehaftplätze haben und ja, wir haben hier Vollzugsdefizite.»
Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Der Täter war ausreisepflichtig und hätte nicht mehr im Land sein dürfen. Deutlich wird erneut: Wir haben es in erster Linie mit einem Vollzugsproblem zu tun, keinem gesetzgeberischen.» Scholz forderte in der «Bild» einen «Mentalitätswandel in allen Behörden», die inzwischen verschärften Gesetze auch umzusetzen.
Abschiebungen vereinfachen?
Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) wies Vorwürfe in den ARD-«Tagesthemen» zurück. Zu der Frage, ob Abschiebungen besser in die Zuständigkeit des Bundes übergehen sollten, sagte er: «Wenn der Bund sagen würde (...), er will das alles übernehmen, hätte ich nichts dagegen - aber das ist keine Forderung, die wir an den Bund richten.»
Kritik an der politischen Diskussion kam vom Präsidenten des Landkreistags, Achim Brötel. «Schuldzuweisungen helfen nicht weiter», sagte der Landrat der Deutschen Presse-Agentur. Abschiebungen müssten einfacher möglich sein. «Bislang sind wir in unserem Land zu oft ohne wirkliche Handhabe gegenüber Personen, die ausreisepflichtig sind.»
Reul gegen «Nebelkerzen-Aktionismus»
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte nach der Tat seine Forderung nach umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen noch mal verschärft. Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel bot ihm in einem offenen Brief an, dies noch vor der Bundestagswahl mit der Union im Parlament zu beschließen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Punktekataloge, vermeintlich starke Worte, schnelle Forderungen werden weder dem Leid der Opfer noch den trauernden Eltern, Angehörigen und Freunden gerecht.» Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach im «Kölner Stadt-Anzeiger» von «Nebelkerzen-Aktionismus, der keinem was bringt».
Stilles Gedenken am Abend
Rund 3000 Menschen hatten sich am Donnerstagabend nach der Schreckenstat zu einem stillen Gedenken in dem Park versammelt, in dem ein zweijähriger Junge und ein 41 Jahre alter Mann am Mittwoch erstochen worden waren. Drei Menschen waren schwer verletzt worden.
Der 28 Jahre alte Afghane, der dafür verantwortlich sein soll, wurde per Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Ihm wird zweifacher Mord, zweifacher versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Der mutmaßliche Gewalttäter war der Polizei und der Justiz schon seit längerem bekannt - unter anderem wegen Gewaltvorwürfen und psychischen Auffälligkeiten. So soll er in einer Polizeistation randaliert und dabei drei Polizisten verletzt haben. Seit Dezember vergangenen Jahres stand er unter Betreuung, schon vorher soll er zweimal polizeilich in eine Psychiatrie eingewiesen worden seien.
Eines der laufenden Ermittlungsverfahren gegen ihn war nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen, weil die Behörde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt habe. Dieser Auftrag sei aber zunächst ausgesetzt worden, weil die Zentrale Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, der Beschuldigte wolle freiwillig ausreisen. Zuvor hatte er nach Angaben von Bayerns Innenminister Herrmann wegen fehlender Kommunikation zwischen Behörden und einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben werden können.
Warnung vor Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken
Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, sagte dem «Redaktionsnetzwerk Deutschland» (RND): «Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten.» Wenn Psychiater und Therapeuten Hinweise darauf erhielten, dass ein Patient eine Gefahr für sich oder andere darstelle, könnten sie aber auch heute schon tätig werden.
Der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner hält nach den Attentaten der vergangenen Monate - zuletzt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt - auch für möglich, dass es zu Nachahmungseffekten kommt. «Je häufiger man von solchen Taten liest, umso eher kopieren das andere», sagte er der «Rheinischen Post». «Aber die Probleme nicht zu diskutieren, wäre auch völlig falsch. Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es nicht.»