Ex-Kaplan bittet im Missbrauchsprozess um Verzeihung
Als Elfjähriger wurde ein Mann von einem Geistlichen missbraucht. Jetzt verlangt er Schmerzensgeld. Der Geistliche räumt die Tat teilweise ein. Für den Kläger ist das «wie eine Befreiung».


Essen (dpa/lnw) - In einem Missbrauchsprozess vor dem Essener Landgericht hat ein früherer Kaplan sexuelle Übergriffe gegenüber einem Elfjährigen eingeräumt und für die Tat aus dem Jahr 1979 um Entschuldigung gebeten. «Es tut mir leid wegen der Folgen für ihn», sagte der 77-jährige Peter H. mit Blick auf den heute 56 Jahre alten Kläger. «Es tut mir auch leid für meine Kirche.»
Das Landgericht nannte die Schilderung des betroffenen Klägers «glaubwürdig und nachvollziehbar». Eine Entscheidung soll am 25. April verkündet werden.
Der Kläger Wilfried Fesselmann sagte, der Prozess und die nahe Entscheidung bedeuteten für ihn eine große Entlastung. «Das ist wie eine Befreiung.» In dem Prozess verlangt Fesselmann vom Bistum Essen mindestens 300.000 Euro Schmerzensgeld. Insgesamt 45.000 Euro hat er in der Vergangenheit bereits erhalten.
Vor dem Missbrauch Bacardi-Cola
Der Kläger war im Sommer 1979 nach seiner Schilderung als damals Elfjähriger von dem Geistlichen in dessen Essener Wohnung durch Oralverkehr missbraucht worden. Zuvor habe dieser ihn genötigt, ein Mix-Getränk wie Bacardi-Cola zu trinken. Dabei habe er zuvor noch nie Alkohol getrunken. Ihm sei schlecht geworden und später sei er eingeschlafen.
Am nächsten Morgen war der Kaplan nach der Schilderung des Klägers weg. Er habe einen Zettel vorgefunden mit der Aufforderung, nichts von der Nacht zu erzählen. «Das bleibt unser Geheimnis. Du kannst jederzeit wiederkommen», habe auf dem Zettel gestanden.
Ex-Kaplan lag nackt mit dem Elfjährigen im Bett
Der frühere Geistliche räumte ein, mit dem Jungen nackt in seinem Bett gelegen zu haben. Er habe auch versucht, den Jungen in seinem Intimbereich anzufassen, sagte der frühere Geistliche vor Gericht. Zu Oralverkehr sei es nach seiner Erinnerung aber nicht gekommen. Allerdings sei seine Erinnerung sehr lückenhaft. Er könne sich auch nicht erinnern, dem Jungen Schnaps gegeben und ihm einen Zettel geschrieben zu haben, sagte der 77-Jährige.
Der Kläger führt an, dass er infolge der Tat alkoholsüchtig geworden sei und an Angststörungen leide. So könne er beispielsweise nicht über die Autobahn fahren. Er habe 24 Jahre nicht arbeiten können, lange von Hartz IV gelebt und leide auch an Sexualstörungen. Er verlangt eine Entschädigung nicht unter 300.000 Euro.
2023 erhielt ein Opfer in Köln 300.000 Euro
Im Sommer 2023 hatte das Landgericht Köln diese Summe einem früheren Ministranten in einem anderen Fall wegen schweren Missbrauchs durch einen Pfarrer zugesprochen. Der Vorsitzende Richter in Essen sagte allerdings, dass eine solche Summe auch im Vergleich mit anderen Schmerzensgeldurteilen «relativ weit oben» liege.
Der Essener Geistliche war nach Missbrauchsvorwürfen in mehreren Fällen Anfang der 1980er Jahre nach Bayern versetzt worden, um sich einer Therapie zu unterziehen. Dort war der Missbrauch aber laut Bistum Essen mit zahlreichen Fällen weitergegangen. Es kam auch zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Erst 2010 wurde er aus dem kirchlichen Dienst entfernt und später in den Laienstand zurückversetzt. Er hat damit auch seine kirchlichen Altersbezüge verloren.
In dem Zivilprozess geht es nicht um eine strafrechtliche Verfolgung des ehemaligen Geistlichen. Die Tat aus dem Jahr 1979 ist verjährt. Seinen Anspruch gegen das Bistum gründet der Kläger auf die sogenannte Amtshaftung einer Institution für ihre Amtsträger. Diese Amtshaftung sehe die Kammer als gegeben, sagte der Vorsitzende Richter.